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Eine Oper am Rämibühl?
Welch ein Wahnsinn - unmöglich an einer Schule! Aber genau diesen "Wahnsinn" habe ich mir vorgenommen für mein letztes Jahr am Rämibühl, bevor ich in die Pension verschwinde. Immerhin: Bereits drei Mal habe ich eine solche Herausforderung erfolgreich überstanden: Im Jahre 1983 war es Hans Werner Henzes moderne Jugendoper "Il Pollicino", 1989 (im Langschuljahr) war die Uraufführung meiner eigenen Oper "Nada" und 1997 (Jubiläum LG) folgte das mit Schülern gemeinsam erarbeitete kreative Projekt "Zauber?flöte". Seither sind ja auch einige Musicals über die Bühne gegangen... Also: Warum nicht noch einmal? Zumal die Schulleitung solche Projekte (die im Lehrplan ja gefordert werden) explizit begrüsst; etwaige Stundenausfälle werden durch die ganz andersartigen Lernprozesse in einem solchen gemeinsamen Projekt mehr als ausgeglichen.
Was ist bis jetzt geschehen?
Schon im Frühling 2006 fand sich ein Kreis von Idealisten zu einer "think tank"-Veranstaltung zusammen, wo wir über erste Ideen zu einer Oper sinnierten, welche irgendwie mit dem Gedankengut, den Idealen der UNESCO zu tun haben sollten. Es folgten weitere Diskussionen in Kleingruppen, die mich in diesem langwierigen, aber interessanten Entwicklungsprozess tatkräftig unterstützten: Nach den Sommerferien lag bereits eine erste Version des Librettos vor, die (vor allem sprachlich) von kundigen Helfern überarbeitet werden konnte. Nach den Herbstferien war bereits der schön im Computer geschriebene Klavierauszug des 1. Akts fertig gestellt und in den Weihnachtsferien war auch der 2. Akt vollendet - die musikalische Substanz war also unter Dach. Nun galt es, die organisatorischen Strukturen aufzubauen: Die Anmeldungen für Teilnehmer, das Eruieren des zeitlichen und örtlichen Rahmens für die Proben und die Aufführungen, die Zusammenstellung eines Leiterteams, die Suche nach Sponsoren etc. - Bemühungen, die am 6. Juli 2007 an einem ein sehr gelungenen Start-Tag im Kirchgemeindehaus St. Anton einen vorläufigen Höhepunkt erlebten (Organisation: Hannes Gubler).
Mit dem neuen Schuljahr 2007/08 begann nun endlich die von allen sehnlich erwartete eigentliche Arbeitsphase: Die Instrumentierung der Partitur war abgeschlossen und es musste umfangreiches Notenmaterial produziert werden. Konzepte für Bühne (Kristine Osmundsen) und Bewegung (Maja Kuske) werden erarbeitet. Zunächst in Kleingruppen, bald auch an speziellen Intensivtagen werden die Teilnehmer in Ihren Part eingeführt (Rollentraining: Corina Gieré, Paul Haug; Stimmtraining: Andri Calonder), und das Orchester beginnt mit der Probenarbeit (Hans Meierhofer, Martin Lehmann, Marc Brühlmann)... Erste sehr ermutigende Früchte zeigten sich bereits an einer Probeaufführung vor den Sportferien, an welcher wir das Werk in der Aula skizzenhaft durchspielen konnten, und wir freuen uns auf die Premiere am 31. Mai 2008!
Was ist der Inhalt der Oper?
Ein Fest von Formen, Farben, Bewegungen und Klängen. Die Handlung dreht sich um den Grundgedanken "Sehen = Wissen": Überwindung des Erkenntnis- bzw. Bildnisverbots durch die Unesco-Ideale. Nur Bildung für jede(n) führt zu Gerechtigkeit, Überwindung von Hunger, Beseitigung von Diskriminierung (Kinder, Frauen, Rassen...) etc. - und so zu einem erstrebenswerten Leben in der Zukunft. Die Rahmenhandlung wird getragen durch den impressionistischen Maler Claude Monet und seine Tochter Marie. Sie bringen die Handlung in Gang, kommentieren und leiten jeweils zur nächsten Szene über. In der Haupthandlung kommen die wichtigsten Kultursprachen vor: Von Hebräisch, Chinesisch, Altgriechisch, Latein, Italienisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Russisch, Spanisch bis "Elektronisch". Das Kind Marie versteht auf wundersame Weise alle Sprachen und "übersetzt" diese mittels ihres Kommentars für das Publikum. Eine Reise durch Zeiten und Kulturen (Länder, Völker, Kontinente - also das Weltkulturerbe). Selbstverständlich gibt es für das Bildnerische Gestalten dankbare Aufgaben (Betreuung der kreativ abgewandelten Stil-Kopien berühmter Meister für das Bühnenbild: Urs Knoblauch), und die Musiker können sich - von der Gregorianik bis zur 12-Tonmusik - in Klängen aller Epochen üben (Schülerorchester).
Die LG-Kultur-Zeitung (Redaktion: Kerstin Peter)
Da die Oper inhaltlich mit fast allen Fachgebieten Bezugspunkte hat (im Sinne der UNESCO-Ideale, zu welchen vorrangig Bildung für alle gehört), war von Anfang an geplant, den Entstehungsprozess von Werk und Aufführung durch eine von Lehrern mit Schülern gemeinsam gestaltete kulturelle Schulzeitschrift zu begleiten. Diese stellt jedes Mal einen der vielen in der Oper gestreiften Themenkreise vertieft dar - nebst organisatorischen Mitteilungen von Hans Meierhofer, der übrigens vor dem Rektorat zu jedem Thema mit schönen Exponaten jeweils auch eine kleine Ausstellung gestaltet.
Bereits konnten 5 Ausgaben der "LG-Kultur-Zeitung" erscheinen: Die erste war dem Thema "Seerose" gewidmet (März 2007), die zweite der "Weissen Tara", welche als Dea ex machina am Schluss der Oper eine wichtige Rolle spielt (September 2007). Die dritte Ausgabe vom Dezember 2007 zum Thema "China" stand auch im Zusammenhang mit den Besuchstags-Konzerten 2008 des Schülerorchesters und fand grosse Anerkennung durch ihre von Schülern verfassten tiefgründigen Artikel (Thilo Ladner, Anna Hoffmann, Alexander Weisser). Die Ausgabe Nr. 4 vom April 2008 ist dem Thema "Sehen und Wissen" gewidmet und enthält einen grundlegenden Artikel von Rainer Oberhänsli zum biblischen Bilderverbot. Bereits Mitte Mai 2008 erscheint die LG-Kultur-Zeitung Nr. 5 zum Thema "Der Künstler und sein Werk". Die Zeitung Nr. 6 wird gleichzeitig das Programmheft zu den Aufführungen sein. Die LG-Kultur-Zeitung Nr. 7 schliesslich soll eine Nachlese zu den Aufführungen mit Bildern, Reaktionen von Zuschauern, Pressekritiken und Schlussbetrachtungen enthalten.
>> Download der LG-Kultur-Zeitungen Nr. 1-7
vergl. den Handlungsablauf + Kommentar in Kulturzeitung Nr. 6 und Kulturzeitung Nr. 7 (mit Bildern) |
In seinem Garten in Giverny bewundert der impressionistische Maler Claude Monet mit seiner Tochter die Seerosen (warum es nicht sein Sohn Jean ist, der in dem berühmten Portrait auf seinem lustigen Rössli-Dreirad abgebildet ist, sondern Marie, sei hier nicht verraten): "Diesen Ausschnitt werde ich heute malen - er ist paradiesisch schön..."
Und so kommen sie auf Henry Rousseau zu sprechen, der in seinem "naiven" Stil wundersame Bilder vom Paradies malt. "Kann der Zöllner überhaupt malen - wie sehen seine Bilder aus?" zweifelt Marie. Monet fordert seine Tochter auf, die Augen zu schliessen, sodass aus ihrer Phantasie ein ganzer Reigen von Visionen auftaucht, welche alle mit dem Sehen und dem Wissen zu tun haben.
Im Sinne des UNESCO-Weltkulturerbes spielen diese Szenen auf allen Kontinenten der Erde, und es wird nicht nur Deutsch und Französisch, sondern in allen grossen Kultursprachen der Vergangenheit und der Gegenwart gesprochen (der Kommentar zum Geschehen, den beide geben, macht die Texte für das Publikum verständlich).
Eine "Zeitreise" beginnt: Zuerst erleben wir in "grauer Vorzeit", wie Adam und Eva die verbotene Frucht vom Baume der Erkenntnis essen. Die beiden heissen hier noch Lilith und Engidu - erstere ist eine im nahen Osten gefürchtete "Femme fatale" - letzterer ein Naturbursche aus dem Gilgamesch-Epos.
Erst als sie das Paradies verlassen, werden sie zu echten Menschen mit allen ihren Leiden, aber auch mit ihren Chancen: Die rasch anwachsende Menschheit (hier von den Kindern Israel stellvertretend dargestellt) erarbeitet sich im Schweisse des Angesichts ihren Profit: Das goldene Kalb, dem sie huldigen... Bis Gott vernichtend eingreift: Du sollst dir kein Bildnis machen.
"Ist nun alles aus?", fragt Marie, und Monet tröstet, dass das Nichts am Anfang der Erkenntnis stand: In Asien mit dem buddhistischen "Nirwana" - der "Absichtslosigkeit" (Szene mit dem chinesischen Maler). Im "Dao de jing" steht: "Tao als Tao ist nie Tao": Sobald man das "Eigentliche" zu fassen versucht, entzieht es sich einem!
So wie auch in Europa bei den Griechen mit dem berühmten von Plato überlieferten Spruch des Sokrates: "Ich weiss, dass ich nichts weiss". Sein Höhlengleichnis schildert ja die wirkliche Welt nur als Schatten der "Ideen", welche als Urbild allem Sein zugrunde lägen.
In den folgenden Szenen werden die verschiedensten Aspekte der Beziehung des Künstlers zu seinem Werk thematisiert, dessen Gedanken ja immer auch um das Urbild und das Abbild kreisen:
In der sich in einen orgiastischen Tanz steigernden Schlussszene des ersten Aktes ist es Pygmalion, der sich in sein eigenes Kunstwerk - eine Venus-Statue - verliebt.
PAUSE
Der zweite Akt beginnt mit einem wilden Bildersturm und einer Bücherverbrennung, wo Fanatiker ihrem Hass auf alle Erkenntnis Ausdruck geben. Sie tun dies, um ihre Mitmenschen zu beherrschen. Als sie Pygmalions Venusstatue (sie ist eigentlich Lilith-Eva) als Hexe verbrennen wollen, greift Monet ein: "Halt! Das lasse ich nicht zu!"
Hier zeigt sich, dass er eigentlich den Schöpfergott symbolisiert, der überall seine Fäden in den Händen hält (schon in der 1. Szene, wo der Seerosenteich dem Urmeer, dem schöpferischen Chaos gleichzusetzen wäre).
Statt "düsteres Mittelalter" leuchtet nun die erhellende Klarheit der Renaissance auf: Man sieht Michelangelo, wie er - Adam schaffend - Gott als Mann mit Bart (also als Menschen) an die Decke der Sixtina malt. Marie wundert sich, dass der Papst so etwas zulässt angesichts des Bildnisverbotes im alten Testament.
Michelangelo war nicht nur Maler, Bildhauer und Architekt, sondern auch ein Dichter. Und so steigt er von seiner Leiter und dirigiert eine Madrigal-Vertonung seines Gedichtes "Negli anni molti...", in welchem er die Leiden eines schöpferischen Menschen beschreibt.
Der wundervoll ausgewogene Renaissance-Stil wird in der Dürer-Szene tiefer beleuchtet: Man sieht diesen rational denkenden Künstler, wie er am "Alberti-Gitter" Perspektive-Studien betreibt. Dazu erklingt die logisch geordnete Musik von Johann Sebastian Bach.
Jean-Jacques Rousseau (ein Namensvetter des bereits erwähnten!) platzt herein (Philosophen werden in dieser Oper humoristisch behandelt - im 1. Akt auch Plato-Sokrates, der als Variété im Stile Duke Ellingtons dargeboten wird); er empfindet gemäss seinem Ausspruch "Retour à la nature!" Bachs Fuge als zu gekünstelt und demonstriert am Cembalo seinen neuen, leichter (allzu leicht?) verständlichen frühklassischen Stil - dabei faselt er auch noch verlogen mit Slogans der französischen Revolution von seinen Erziehungsidealen.
Auch England kommt zum Zuge mit seinem bedeutendsten Maler William Turner, dessen visionäre Behandlung des Lichts Monets Stil ja vorwegnimmt. Er schwärmt mit Anspielungen auf Lord Byron und Goethe sehnsüchtig von Italien. Die Farbenlehre des letzteren beeindruckt ihn sehr.
Der nächste Maler, der Auftritt, ist ein Russe: Wassilij Kandinski. Als Vertreter des "Blauen Reiters" und des "Bauhauses" ist er derjenige, der die Abstraktion in die Kunstgeschichte eingeführt hat (ein paralleler Vorgang zur Entwicklung der atonalen 12-Ton Technik durch seinen Freund Arnold Schönberg).
Die Handlung, welche in verschiedensten Aspekten das Thema Urbild-Abbild beleuchtet hat, gerät aus den Fugen: Als Pablo Picasso (der sich vorerst für die "naive" Kunst Afrikas stark macht) die "Femme fatale" mit grüner Farbe und entstellten Formen portraitiert, gerät diese in Wut....
Es beginnt ein wilder Mal-Tanz (vgl. den beeindruckenden Film "Le Mystère de Picasso", wo man ihn im schöpferischen Prozess hautnah erlebt!), in welchem wir durch die Exzesse moderner Medien-Überflutung an (über) die Grenzen unserer Fähigkeit, uns ein Bild zu machen, getrieben werden - und wo auch unsere Erkenntnis kapitulieren muss.
DEA EX MACHINA
Wohlgemerkt: Nicht ein männlicher DEUS - die Kulturgeschichte ist ohnehin viel zu sehr patriarchalisch dominiert: Eigentlich wollte ich die heilige Maria mit helfender Liebe eingreifen lassen, was mir aber zu sehr europäisch-konfessionell besetzt zu sein schien (aber als "Marie" hat sie dennoch Unterschlupf gefunden...).
So stiess ich auf die tibetische Tara, die als mitleidvoller Bodhisattva vom einfachen Volk ebenso verehrt wird. Die gloriose (fast allzu indisch-kitschige) Erscheinung dieser Gottheit (sie thront auf einer Lotosblüte, einer Verwandten der Seerose) hat zwei Botschaften:
So gerät nicht nur die Menschheit auf den rechten Weg (Anspielung auf das in der Chinesen-Szene erwähnte TAO, dass eigentlich "Weg" bedeutet), sondern auch Marie selbst. Ohne es zu bemerken, hat sie in all diesen Erlebnissen ihren eigenen Weg gefunden, d.h. sich von ihrem Vater Claude Monet emanzipiert:
Ganz allein radelt sie mit ihrem Pferde-Dreirad von der Bühne...
Aber auch Monet ist verwandelt: Als Marie schon fort ist, schaut er suchend noch einmal herein und greift sich ans Kinn: Er relativiert - was stimmt nun - Verbot oder Gebot? Die letzten Wahrheiten entziehen sich dem Menschen, was ja eigentlich auch der tiefere Sinn des Erkenntnisverbotes war.
(Hans Meierhofer, März 2008)
Claude Monet: Seerosen 1908